Ein Chorkonzert der Spitzenklasse

WAZ – 22. Mai 2016Image-20160524

von Christiane Sandkuhl

Berghausen. Mit einem „Chorkonzert der Spitzenklasse“ wurde der Männerchor „Harmonie“ Lindenholzhausen von seinen Gastgebern angekündigt, den Sängern des MGV „Erholung“ Schüllar-Wemlighausen. Doch die Formulierung „Spitzenklasse“ bleibt den Zuhörern in der vollbesetzten Kulturhalle Berghausen wohl eher als Untertreibung im Gedächtnis.

Pamela Travers’ Kinderbuchfiur „Mary Poppins“ hätte mit dem Ausspruch „supercalifragilisticexpialigetisch“ direkt ins Schwarze getroffen. Doch wie kommt ein solch preisgekrönter Chor nach Wittgenstein? Friedel Fuchs hat es vor vielen Jahren aus Schüllar ins hessische Langendernbach verschlagen, wo er seine Leidenschaft als Chorsänger in der „Harmonie“ weiterleben kann. Die Verbindung zur alten Heimat war somit hergestellt. Die Einladung stand und wurde gern angenommen. Jürgen Saßmannshausen-Aderhold, Vorsitzender des MGV „Erholung“, bezeichnete die „Harmonie“ als Gesamtkunstwerk und übergab nach drei Begrüßungsliedern der 20 Sänger starken „Erholung“ die Moderation an Harmonie-Chorleiter Martin Winkler: „Noch nie vorher waren wir hier in irgendeinem der wunderschönen Wittgensteiner Orte. Wir genießen es – und wenn unsere Arbeit gefällt, rufen Sie bitte laut Zugabe.“ Lockerer Auftakt mit Schalk im Nacken und echtem Rhythmus im „Chor-pus“.

 

Gänsehaut-Gefühl pur

Die ersten Takte des „I will praise Thee O Lord“ verrieten: Die Männer machen nicht nur Musik, sie sind Musik mit jeder Zelle ihrer Körper. Spirituelle Chorliteratur erhebt nicht den unbedingten Anspruch, ruhig und gemäßigt daher zu kommen. Die Ehre Gottes erlaubt, laut und fröhlich gelöst zu sein. Im mitteleuropäischen Glaubenskreis geht es für gewöhnlich piano zu. Franz Schuberts „Heilig, heilig“ oder das eigens für den Chor als Doppelchor-Werk von Alwin Schronen komponierte Stück zeigten mit teils gehauchter, später durchdringender Deutlichkeit die Zuneigung jeder Stimme zu Gott.

Gänsehaut-Gefühl, das nicht enden will, beherrscht den Abend. Egal, ob temperamentvolle Volksmusikweise „Wenn alle Brünnlein fließen“ des Ungarn Miklós Mohay, „Schlehenblüte“ von Franz Schreker oder aber die vier Ur-aufführungen „Werbung“, „Entschuldigung“, „Aufs Wohl der Frauen“ und „Abschiedsgruß“ für alle Damen im Saal von Friedrich Silcher: Sie alle sichern den 80 Harmonie-Sängern stets frenetischen Beifall.

Die Gastgeber standen dabei natürlich nicht im Abseits. Auch An­dré Braun hatte mit seinen 20 Kehlen so einiges an Volumen zu bieten und beschenkte das Publikum reichlich mit internationalem Liedgut. „Bene calastoria“, „Tebje pojem“ oder „Ich schenk’ Dir einen Schutzengel“ gefiel sogar einem Schwalbenpärchen derart, dass es entschied, in der Dachverstrebung der Berghäuser Kulturhalle zu nisten. Fröhliches Zwitschern begleitete das Finale aller Sänger gemeinsam. „Das Morgenrot“ im großen Kreis um das Publikum herum intonierten sie mit gewaltiger Inbrunst – und so mancher verdrückte vor Ehrfurcht ein paar Tränen. Bewegende Momente, die wohl nur die Musik ausdrückt.